Walter Schönthaler 09/2012
Brand Positioning als Instrument der Marketingpolitik stammt aus den 70er Jahren und wurde seit der Digitalisierung, dem Entstehen der expressiven Sozialmedien, wie Twitter, YouTube, Facebook weitestgehend durch das neue Konzept von Mission, Vision und Werten des Unternehmens ersetzt.
Nur in Einzelfällen wird noch an den alten Paradigmen des Pre-Internet-Marketings festgehalten. Nur zu verständlich: schließlich wollen die Marketingexperten das, was sie an der Uni oder Werbeakademie über Marketing gelernt haben, auch weiterhin umsetzen.
Aber die Top-Down-Mechanik der vertikalen Kommunikation durch die simple Anwendung der AIDA-Regel (Attention-Interest-Desire-Action) funktionieren nicht mehr, seit die Kommunikation nicht mehr in einer Einbahn, sondern auch in die Gegenrichtung verläuft. Den Marketern pfeift der Gegenwind der User, Social Groups und NGO´s immer stärker um die Ohren.
„Strategie, Taktik, Zielgruppen, Penetration, Coverage, Segmentierung, Targeting …“ alle diese Begriffe hat sich das Marketing aus der Militärstrategie entliehen. Das Territorium des Verbrauchers muss „besetzt“ werden und dafür müssen „Lücken in den Köpfen“, ein share of mind gefunden oder geschaffen werden. (Brandtner) Diese Strategie ist überholt. Die Massenkommunikation ist keine Einbahn mehr. Jeder kleiner Blogger kann ein respektabler Medieninhaber werden.
Nicht die Überdehnung der Marken ist das Problem, sondern im Gegenteil: die perspektivische Schrumpfung des Marketings auf die Marketing-Dogmen der Siebziger Jahre ist der real issue.
Manche Marketingmanager haben ihre Marken heute nicht mehr richtig im Griff, weil sie die kollektive Macht der Prosumenten und sozialen Netzwerke auf das Marketing des 21. Jahrhunderts während der letzten 15 – 20 Jahre noch nicht verstanden haben.
– und treffen immer öfter… Verbraucher sind nicht mehr medial isolierte Einzelpersonen, sondern mit anderen Usern vernetzt. Diese User-Gruppen sind nicht länger passiv, sondern können Kritik üben. Aber sie können den Unternehmen auch konstruktives Feedback und kreativen Input (Co-Creation) liefern.
Auch die Marketingmanager werden durch die digitale Interdependenz zu Zielgruppen der User. Diese Tatsache bekommen sie allerdings oft nicht mit, bzw. erst dann, wenn „ihre“ Marke alt aussieht.
Jedes Kind, jeder User, jede „Zielgruppe“ die über Laptop und Internet verfügt, kann über soziale Medien „zurück-zielen“. Diese Back-Positioning Statements der User bekommen immer mehr Fans - das kann man an den Persiflagen der TV-Spots in YouTube erkennen, die zumeist höhere Popularität als die Originale erreichen. Empfehlenswert: McDonalds 1 Euro, Dove Slob Evolution (3,5 Mio. Zugriffe) Paulaner Bier, Actimel (500.000 Zugriffe/Kontakte)…
Während die Agentur-Strategen den Kunden ihre Brand Positioning Statements in Form von Koordinatensystemen, Abszissen, Ordinaten, Achsenkreuzen und Kugerln präsentieren, zerkugeln sich die Kids der Internetgeneration über ihre selbstgebastelten subversiven Anti-Werbespots auf YouTube.
Des Kaisers neue Kleider? Die Persiflagen der Internet-Kids sind mit primitivsten Mitteln gemacht und trotzdem fast ausnahmslos witziger und intelligenter als die Profi-Spots, die sie parodieren. Nicht jede Werbung eignet sich allerdings zur Parodie: XXXLutz Spots machen einen parodistischen Turnaround vom Lächerlichen ins Humorvolle aus Mangel an kognitiver Substanz unmöglich.
Erfolgreiche Unternehmen haben die grundlegende Veränderung der Marketing-Paradigmen längst erkannt. Unternehmen sind nicht mehr autarke Einzelkämpfer, die „vertikales Verkündigungsmarketing“ betreiben, sondern agieren innerhalb eines Netzes von Partnern und Stakeholdern.
Im Mittelpunkt des neuen Marketings des 21. Jahrhunderts steht nicht mehr der „Ver-Braucher“ als Cash Machine und dem „share of mind“, sondern der interaktive User mit Kopf, Herz und Human Spirit.
Vom Verkündigungs-Marketing zum interaktiven Dialog
Viele erfolgreiche Unternehmer praktizieren das neue, interaktive Marketing schon seit langer Zeit sehr erfolgreich: Unternehmer wie Jack Dorsey (Twitter), Mark Zuckerberg, Reid Hoffman (LinkedIn), Larry Sanger (Wikipedia), Larry Page, & Sergey Brin (Google), Bill Gates, Jeff Bezos (Amazon), Didi Mateschitz, Pierre Omidyar (eBay), oder die leider schon verstorbenen Steve Jobs und Anita Roddick (Bodyshop) erwirtschaften Gewinn, indem sie die Kraft der User für Ihr interaktives Marketing nutzen.
Diese Unternehmer haben erkannt, dass die Interaktion mit dem Verbraucher im 21. Jahrhundert nicht mehr in einer One-to-many, sondern in Form einer Many-to-Many Kooperation erfolgt. Ihre Marke umfasst funktionale, emotionale und spirituelle Werte. Daher suchen sie in den Hirnen der Verbraucher nicht nach den Lücken, sondern nach den Ideen und Werten ihrer User für das Branding.
Denn: erfolgreiches Marketing entsteht nicht aus der Sicht des Verkäufers, sondern aus der Perspektive des Käufers.
Die alten Konzepte arbeiten mit dem Verkäufer-Mix des 4-P (Product, Price, Place, Promotions) der nur auf den „Kaufakt“ (point of purchase) abgestellt ist.
Aus dem Blickpunkt des interativen Users des 21. Jahrhunderts mutieren die 4 P zu 4 C: Customer Solutions, Customer Cost, Communication and Convenience.
Wesentlich für diese neue Perspektive aus der Sicht des Verbrauchers ist daher nicht das Lückensuchen im Kopf von Konsumenten, sondern die Bildung des Marken-Charakters. Das werte-orientierte Marketing betreibt „business as unusual“.
Während der letzten 3 Jahre sind eine große Zahl neuer Marketingbücher erschienen, die diese Revolution im Marketing beschreiben. Für mich die beiden interessantesten sind Sustainability Marketing (Frank-Martin Belz und Ken Peattie, 2009) und Marketing 3.0 (Philip Kotler, Hermawan Kartjaya, Iwan Setiawan)
Professor Kotlers neue Marketingbibel „Marketing 3.0 – From Products to Customers to the Human Spirit“ ist insofern erstaunlich, als Kotler die Marketingparadigmen der Vergangenheit, die er ein halbes Jahrhundert hindurch selbst propagiert hatte, in seiner neuen Marketingbibel in einigen Punkten radikal revidiert.
Marketing-Guru Philip Kotler und seine Co-Autoren machen auch ihre eigene Berufssparte für den Verlust von Verbrauchervertrauen verantwortlich:
„Viele Marketingleute sollten zugeben, dass die Verbraucher bei ihnen in Wirklichkeit nie an erster Stelle standen.“ (Philip Kotler et al.; Die neue Dimension des Marketing, Campus Verlag, 2010, S. 49